Erschienen am 7.12.2004 / Seite 23 # Zusätzlich veröffentlicht in FAZ.NET am 27.10.2004
ADR-Programme sind
mit Vorsicht zu genießen
Von Stefan Laxhuber, Experte für Emerging Markets und Herausgeber des Börsenbriefes „Der Ostinvestor
27. Oktober 2004
Bei vielen an internationalen Börsen inklusive Deutschland
gehandelten Papieren zu Werten aus den Emerging Markets handelt es sich nicht um
Aktien, sondern um ADRs oder GDRs. Das ist deshalb wichtig zu wissen, weil diese
Produkte mit spezifischen Risiken verbunden sind, über die sich nicht alle
Anleger bewußt sind.
Um den
Sachverhalt zu verstehen, ist es zunächst wichtig, sich bewußt zu machen, was
ein ADR oder GDR ist. Als ADRs (American Depositary Receipts) werden auf Dollar
lautende, von amerikanischen Depotbanken (depositary banks) in Amerika
ausgegebene Aktienzertifikate bezeichnet, die eine bestimmte Anzahl hinterlegter
Originalaktien eines ausländischen Unternehmens verkörpern und an ihrer Stelle
am amerikanischen Kapitalmarkt wie Aktien gehandelt werden.
Anleger sollten genau wissen, was sich hinter ADRs und GDRs
verbirgt
Es gibt keine exakten Vorschriften, in welchem Verhältnis ein
ADR zur Originalaktie zu stehen hat. Daher gibt es z.T. recht skurrile
Bezugsverhältnisse, die sich bei Kapitalerhöhungen oder -verringerungen,
Gratisaktien, Splits u.ä. auch noch im Laufe der Zeit ändern können.
GDR steht für „Global Depository Receipts”. Das Produkt ist
vergleichbar mit einem ADR. Der Unterschied liegt darin, daß diese Depository
Receipts nicht aus Amerika, sondern aus einem anderen Staat Land begeben wird.
Ein ADR/GDR kann etwa nur dem Bruchteil einer Aktie, aber auch einer vollen
Aktie oder einer Vielzahl davon entsprechen. So entspricht das hier gehandelte
ADR auf die Aktie von Utd. Heavy Machinery einer Originalaktie, das von GUM zwei
Aktien, das ADR von Lenenergo repräsentiert 80 Originalaktien usw.
Damit ist es noch nicht genug, es kommt noch verwirrender: Bei
einigen Aktien notieren bekanntlich Vorzugs- und Stammaktien, und hier liegen
oftmals unterschiedliche Verhältnisse zugrunde. So repräsentiert das hier
gehandelte ADR der Surgutneftegaz Vorzüge 100 Original-Vorzugsaktien, das ADR
der Stammaktien hingegen nur 50 Original-Stammaktien. Und bei dem ADR des
russischen Mobilfunkbetreibers Vimpelcom sind es gar Bruchteile: 1 ADR repräsentiert
0,75 Originalaktien.
ADRs sind keine Aktien des Unternehmens
Wenn Sie ein ADR kaufen, dann kaufen Sie im Grunde nicht die
Aktie, sondern ein Papier, herausgegeben von einer Bank (z.B. der Bank of New
York), das einen Anspruch auf diese Aktien verbrieft. Laut Gesetz kann der
jeweilige Inhaber eines ADRs jederzeit gegen Rückübertragung des Zertifikats
an die Depotbank die Herausgabe der bei einer ausländischen Hinterlegungsbank (custodian
bank), in der Regel der Zweigstelle der Depotbank im Sitzstaat des ausländischen
Unternehmens, verwahrten Aktien bzw. deren Verkauf an der ausländischen Börse
verlangen.
Ein wichtiger Grund für die Konstruktion von DR-Programmen liegt
darin, daß bestimmte amerikanische institutionelle Investoren, wie staatliche
Pensionsfonds, Lebensversicherungsgesellschaften oder Kreditinstitute, Beschränkungen
hinsichtlich deren Investment in ausländische Wertpapiere unterliegen. Ein
anderer Grund besteht darin, daß es für ausländische Unternehmen viel
einfacher ist, ADRs an einer ausländischen Börse notieren zu lassen anstatt
der eigentlichen Originalaktien. Da ADRs wie amerikanische Aktien behandelt
werden, kann so ohne die Emission von Aktien auf dem amerikanischen Kapitalmarkt
dieser von ausländischen Unternehmen genutzt werden. (Unterschieden wird außerdem
zwischen unsponsored oder sponsored ADR-Programmen. Details dazu finden sich
unter dem Link: Die
Details von unsponsored oder sponsored ADR-Programmen
Kosten eines ADR/GDR
Bei vielen osteuropäischen und asiatischen Werten ist der Handel
an der Heimatbörse erheblich liquider als in den ADR/GDR. Daraus resultiert in
vielen Fällen ein engerer BID/ASK-Spread: Der Anleger bekommt also sehr oft
einen niedrigeren Kaufkurs und einen höheren Verkaufskurs angeboten wie beim
Handel in DRZertifikaten. Der Anleger zahlt also beim Kauf mehr und bekommt beim
Verkauf weniger.
Gerade wenn eine Aktie/ein Markt „in” ist kommt es nicht
selten vor, daß zudem die DR´s gegenüber den Originalaktien mit einem
deutlichen Aufgeld gehandelt werden. Aufgelder von rund zehn Prozent sind oft
die Regel; haussiert ein Wert oder ein Markt, kommen auch Aufgelder von 30
Prozent und mehr vor. Dreht die Stimmung hingegen, verkehrt sich das schnell ins
Gegenteil: Beim Verkauf müssen dann teils erhebliche Abgelder in Kauf genommen
werden.
Auch bei Dividenden muß der ADR/GDR-Anleger Abstriche hinnehmen.
Die emittierende Bank behält zum Beispiel bei Dividendenzahlungen einen Teil
als Gebühren ein. Ein Beispiel anhand der russischen Rostovenergo Vorzüge, die
in Deutschland als ADR mit der ISIN US77853Q2075 gehandelt wird: Ein ADR repräsentiert
hier 100 Originalaktien. Somit entsprechen 10.000 ADR 1.000.000 Originalaktien.
Für das Geschäftsjahr 2003 zahlte das Unternehmen eine Dividende von 0,001684
Dollar je Aktie.
In unserem Beispiel erhält der Besitzer der 1.000.000
Originalaktien somit eine Dividende von 1.684 Dollar. Je nachdem, welche
Verwahrstelle gewählt wurde, werden unter Umständen hiervon noch 15 Prozent
russische Quellensteuer abgezogen, die bei einem deutschen Anleger
gegebenenfalls wieder auf die Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer
angerechnet werden kann. Dem Besitzer der 10.000 ADR werden auf die
Bruttodividende zusätzlich noch fremde Spesen abgezogen. In unserem Beispiel
sind das 170 Dollar. Auch hiervon noch 15 Prozent russische Quellensteuer
abgezogen, die bei einem deutschen Anleger ggf. wieder auf die Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer
angerechnet werden kann.
Fazit: Der durchschnittlichen Kleinleger kann den Abzug bei den
Dividenden als vernachlässigbar ansehen. Ganz erheblich zu Buche schlagen können
aber die Aufgelder beim Kauf und die Abgelder beim Verkauf !
Ganz persönlich komme ich jedenfalls zu folgendem Schluß: Überspitzt
formuliert kaufen Sie beim ADR nicht die Aktie, sondern das Papier der
emittierenden Bank und müssen darauf vertrauen, daß die Bank Ihnen auch tatsächlich
die zugehörigen Originalaktien ausliefern kann. Wie wir aber bei Enron und Tyco
gesehen haben, ist gerade im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vieles möglich.
Niemand kann mit Sicherheit garantieren, daß man sich bei der Bank of New York
(oder einer anderen ADR-Bank) nicht verrechnet und mehr ADRs ausgibt, als
tatsächlich an Originalaktien hinterlegt sind.
Skandale wie Enron oder der diversen Nemax-Unternehmen belegen
eindrucksvoll, wie leicht sich die Mathematik verbiegen lässt. Nur - wer
hierzulande ordern will, hat keine andere Wahl als den Griff zum ADR. Denn meist
bekommen Sie die Originalaktien nur an den jeweiligen Heimatbörsen.
Viele Anleger sind der Ansicht, ein ADR/GDR wäre sicherer und
billiger als der Kauf einer Originalaktie. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum.
Es erfordert zwar einiges an Mühe, denn nicht jede Bank ermöglicht den Kauf
von Originalaktien. Aber diese Mühe kann sich sehr schnell bezahlt machen.
Die Details von unsponsored oder sponsored
ADR-Programmen
Eine Ausgabe von ADRs kann grundsätzlich in der Form von
unsponsored oder sponsored ADR-Programmen erfolgen. Bei einem unsponsored
ADR-Programm geht die Initiative allein von einer amerikanischen Depotbank oder
einem Händler aus. Die Kosten für das ADR-Programm sind regelmäßig von den
Investoren zu tragen. Darüber hinaus ist die Depotbank aufgrund des fehlenden
Depotvertrages mit dem ausländischen Unternehmen nicht verpflichtet,
Informationen des Unternehmens an die Investoren weiterzuleiten. Unsponsored
ADRProgramme werden allerdings an vielen Börsen nicht zum Handel zugelassen,
die Bedeutung ist daher recht gering.
Bei sponsored ADR-Programmen geht die Initiative vom Emittenten
(also dem Unternehmen selbst) aus und wird von diesem in Zusammenarbeit mit der
Depotbank realisiert. Dabei wird ein Depotvertrag (depositary agreement)
geschlossen, der die Depotbank verpflichtet, die Ausgabe und Rücknahme von
Zertifikaten, die Ausübung von Stimmrechten durch den amerikanischen Investor,
die Weitergabe von Dividenden und Unternehmensinformationen und die
Programmpflege zu übernehmen. Der Großteil der entstehenden Kosten bei
sponsored ADR-Programmen wird von dem emittierenden Unternehmen getragen.
Nur sponsored ADR-Programme können in drei weitere Kategorien
unterteilt werden: Level I, II und III-ADR.
Level I: Durch ein Level I-Programm kann für bereits existente
Aktien eines Unternehmens ein Handel in den USA auf dem ungeregelten Over the
Counter (OTC)-Markt initiiert werden. Hiermit kann jedoch weder neues Kapital
aufgenommen noch das ADR an einer US-Börse notiert werden. Eine Registrierung
der hinterlegten Aktien nach dem Securities Exchange Act (SEA) ist im Regelfall
nicht erforderlich, da die ADRs eines Level I-Programms weder an einer US-Börse
noch im NASDAQ-System gehandelt werden sollen. Bei der SEC müssen die im
Heimatmarkt des Unternehmens veröffentlichten Informationen in einer englischen
Übersetzung eingereicht werden. Der bedeutende Vorteil eines Level I-Programms
gegenüber höhergradigen Programmen liegt in der fehlenden Verpflichtung zur
Rechnungslegung nach US-GAAP.
Level II:
Für eine Notierung an einer geregelten USamerikanischen Börse
(also nicht im OTC-Markt, in dem sich oftmals graue und schwarze Schafe tummeln)
oder gar im NASDAQ wie die russische Wimm Bill ist mindestens ein Level
II-ADRProgramm aufzulegen. Hierbei müssen u.a. die zugrunde liegenden Aktien
nach den Bestimmungen des SEA bei der SEC registriert und die Berichts- und
Offenlegungsanforderungen der jeweiligen Börse beachtet werden. Eine
Registrierung verlangt umfangreiche Angaben über den Emittenten. Es sind Abschlüsse
nach USGAAP vorzulegen, wesentliche Anteilsinhaber zu nennen und Angaben über
die Vorstands- u. Aufsichtsratsmitglieder zu machen. Die Registrierung zieht
zudem eine mindestens jährliche Berichtspflicht in vergleichbarem Umfang nach
sich.
Level III:
Für die Aufnahme von Kapital durch die Emission neuer Aktien ist
ein Level III-Programm erforderlich. Die Anforderungen entsprechen weitgehend
dem eines Level II-Programms. Neben den Level I- bis Level III-Programmen
besteht die Möglichkeit einer Privatplatzierung, die sich an institutionelle Käufer
richtet. Eine Privatplatzierung hat für das Unternehmen den Vorteil, dass kein
aufwendiges Registrierungsverfahren notwendig und kein Abschluss nach USGAAP
erforderlich ist. Diese ADRs werden dann logischerweise nicht öffentlich an der
Börse gehandelt.
Kapitalerhöhung bei NPR zeigt die Risiken
Viele Anleger sind der Überzeugung, mit dem Kauf eines ADR/GDR
an einer deutschen Börse hätten sie mehr Sicherheit als beim Kauf der
Originalaktie. Da ein ADR/GDR jedoch völlig auf dem Underlying (der
Originalaktie) beruht, repräsentiert ein ADR/GDR dieselben Länder- und
Unternehmensrisiken wie die zugrunde gelegte Aktie.
Das Unternehmen führte eine Kapitalerhöhung durch. Stichtag war
der 27.08.04. Wer zu diesem Zeitpunkt NPR-Aktien besaß, darf an der Kapitalerhöhung
teilnehmen. Es werden 1,2 Milliarden neue Aktien emittiert, das heißt der
Kapitalerhöhungsfaktor liegt bei 22,2696: Die Anzahl der Aktien steigt von
53.885.000 auf 1.253.885.000. Ergo bekommt jeder Aktionär die Möglichkeit, pro
alter NPR-Aktie 22,2696 neue zu kaufen. Diese neuen Aktien werden den Altaktionären
zum Nominalwert (0,25 UAH, umgerechnet 0,047 US$) angeboten.
ADR-Programm oder wie aus einem Gewinn ein Verlust wird
Nachfolgend die Rechnung für einen Aktionär, der 10.000
Originalaktien in Kiew gekauft hat. Wir nehmen die Kurse einen Tag vor dem
Stichtag und runden für diese Berechnung der Einfachheit halber auf 1,00
Dollar. (Die Aktie notierte recht volatil in einer Bandbreite von 0,97 zu 1,10
Dollar)
Originalaktien: 1. Kapitaleinsatz für 10.000 Aktien = 10.000
Dollar. 2. Kapitaleinsatz für Teilnahme an der Kapitalerhöhung zum Bezug von
222.696 neuen Aktien: 222.696 x 0,047Dollar = 10.467 Dollar. 3. Ergibt insgesamt
einen Kapitaleinsatz von 20.467 Dollar und eine gesamte Aktienzahl von 232.696
Aktien. 4. Aktueller Kurs der Aktien in Kiew: 0,20 Dollar. Ergibt einen Kurswert
von 46.539 Dollar oder einen Gewinn von rund 130 Prozent.
ADRs: Da die Ukraine wie viele andere sogenannte Emerging Markets den
Handel mit Bezugsrechten nicht kennt, haben die ADRs auf NPR Nizhnedneprovsky
Tube Rolling Plant keine Möglichkeit, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen. Der
Anleger kann auch nicht davon auszugehen, daß die Bezugsrechte veräußert
werden und der ADR-Besitzer eine Entschädigung erhält. Beim aktuellen Kurs von
1,10 Euro je ADR würde der ADR-Besitzer in diesem Beispiel einen Verlust von
rund 77 Prozent erleiden.
Stefan Laxhuber, Experte für Emerging Markets und Herausgeber
des Börsenbriefes Der Ostinvestor®